PZ-News Artikel vom 14.12.10 :
Walter Sittler mit Kästner-Programm: Porträt eines brillanten Erzählers
PFORZHEIM. Er trägt einen anderen, klassisch deutschen Vornamen, und dennoch ist man am Ende des Programms „Vom Kleinmaleins des Seins“ geneigt, ihn unverhohlen mit Erich anzusprechen, den Mimen, der den Kästner gibt und dabei seine eigene Persönlichkeit in den Hintergrund rückt: Walter Sittler. Im Pforzheimer CongressCentrum hat der 1952 in Chicago geborene und heute in Stuttgart lebende Schauspieler an den berühmten deutschen Autor erinnert, ihn für kurze Zeit sogar lebendig werden lassen.
Denn Sittler schlüpft in der aktuellen „Sagas“-Produktion nicht einfach in die Rolle Erich Kästners, er hat das Leben und Werk des Chronisten und Satirikers vielmehr verinnerlicht. So sehr, dass das musikalisch untermalte Bühnenspiel am Ende weit mehr als die bloße Wiedergabe von autobiografischen Texten Erich Kästners in einer gelungenen Bearbeitung und Regie von Martin Mühleis ist.
Texte noch immer hörenswert
Das Solospiel Walter Sittlers erlaubt dem Publikum einen ebenso intimen wie augenzwinkernden Blick auf den 1899 in Dresden geborenen Menschen und Schriftsteller Kästner, dessen Texte bis heute berühren, begeistern und vielfach auch nichts an Aktualität verloren haben. Dies zeigt nicht zuletzt sein Blick auf die Wirtschafts- und Bankenwelt. Spätestens wenn Sittler als Kästner mit wohlig warmen Worten an die Weihnachtsabende mit seinen Eltern erinnert, lauscht das Publikum mit solch gespannter Aufmerksamkeit, dass selbst das Fallen einer Stecknadel zu hören wäre. Stille Nacht und bisweilen geradezu heilige Momente im CCP am dritten Advent. In seiner Paraderolle ist Sittler, was Erich Kästner zeitlebens war: Ein wacher, gewitzter, scharfzüngiger und sensibler Mensch; ein brillanter Erzähler und charmanter Lebemann, der in Worte fasste, was ihn bewegte: das Leben mit all seinen Facetten.
Die Kraft der kästnerschen Worte weiß aber nicht allein Sittler mit seiner mimisch wie gestisch nie aufdringlichen, immer aber authentischen Präsentation zu beschwören. Verstärkt wird deren Wirkung aber auch durch die einfühlsamen Kompositionen Libor Simas. Er hat in Noten gegossen, was Kästner mit großem Sprachgefühl und -witz mit Lettern zu Papier gebracht hat.
Lebens-Gegensätze
Das unbeschwerte Lebensgefühl der „Goldenen Zwanziger“, die fiese Fratze von Armut, Dummheit und Krieg. Da werden die fröhlichen Momente im Leben Erich Kästners in leichten und beschwingten Melodien ebenso offenbar wie jene Augenblicke der Schwermut oder Melancholie, die der 1974 in München verstorbene Autor besonders in den Jahren des Zweiten Weltkriegs durchlitten hat. Dabei ist das stimmungsvolle, kammermusikalische Spiel von Libor Sima (Saxofon), Veit Hübner (Kontrabass), Gesa Jenne-Dönneweg (Violine), Bobbi Fischer (Harmonium), Martin Maier (Trompete) sowie Obi Jenne (Schlagzeug) zu keiner Zeit nur schmückendes Beiwerk, sondern stets ein markantes Muss.
Hatte Walter Sittler bereits in der Vorgängerproduktion zur Kindheit und Jugend Erich Kästners geglänzt, so scheint der Darsteller in der Folgeproduktion zu „Als ich ein kleiner Junge war“ diesmal eins mit dem inzwischen gereiften Kästner zu sein. Die Rolle ist ihm auf den Leib geschneidert wie der feine Zwirn, den er trägt.
Lust auf Kästner machen
Und so gelingt Sittler, was dem Protagonisten des unterhaltsamen und nachdenkenswerten Abends ein stolzes Lächeln auf die Lippen zaubern würde: Lust auf Kästner zu machen, der über die Verbrennung seiner eigenen Bücher auf dem Platz neben der Berliner Staatsoper im Jahr 1933 ebenso berichtet hat, wie von respektvollen Begegnungen mit Kollegen. Der stolz von seinen Theaterrezensionen erzählt und davon, wie er dazu animiert wurde, „Emil und die Detektive zu schreiben“.
Am Ende tosender Beifall in der Goldstadt für einen brillanten Walter Sittler und einen unverbesserlichen und unvergesslichen Erich Kästner, der wie das Publikum zweifellos seine Freude an der durchweg kurzweiligen Inszenierung „Vom Kleinmal- eins des Seins“ gehabt hätte.
Ralf Recklies
Quelle : PZ
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